Es war ein äußerst nüchternes Machtwort, dass Olaf Scholz nun im Streit über die Frage nach der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke gesprochen hat. Er hat es vielmehr geschrieben. Per Brief teilte er den zuständigen Ministerinnen Steffi Lemke (Umwelt), Robert Habeck (Wirtschaft und Klima) und Christian Lindner (Finanzen) am Montagabend mit, dass nun die „gesetzliche Grundlage geschaffen“ wurde, um „den Leistungsbetrieb der Kernkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 sowie Emsland über den 31.12.2022 hinaus bis längstens zum 15.4.2023 zu ermöglichen“.

Damit beruft Scholz sich zum ersten Mal auf seine Richtlinienkompetenz als Kanzler und beendet eine Auseinandersetzung, in der sich nach der Landtagswahl in Niedersachsen vor rund zehn Tagen vor allem die Grünen und die FDP grundsätzlich verkeilt hatten. Ein Treffen von Scholz, Habeck und Lindner im Kanzleramt war am gestrigen Sonntagmittag noch ergebnislos geendet. Nun laufen also drei statt wie von Habeck vorgeschlagen zwei Atomkraftwerke bis zu dem von ihm ursprünglich vorgesehenen Datum weiter. Die FDP allerdings hatte ursprünglich gefordert, dass alle Atomkraftwerke bis Ende 2024 am Netz bleiben sollen.

Auch wenn Christian Lindner diese Entscheidung auf Twitter bereits wie einen Erfolg ausgab und dem Kanzler für seine „Klarheit“ dankte, ist das Ergebnis doch weit von dem entfernt, was die Liberalen in einer Art Rettungsaktion zur angeblichen Schärfung ihres Profils gefordert hatten. Denn die Grünen müssen nun die am Wochenende auf dem Parteitag beschlossene „rote Linie“, nach der keine neuen Brennstäbe mehr beschafft werden sollten, nicht übertreten. Auch wird an dem von ihnen vorgeschlagenen Ausstiegsdatum nicht gerüttelt. Scholz‘ pragmatisches Basta ist ein unerwartet klarer Sieg für Robert Habeck.

Scholz steht offenbar zu seinem Wort

Und so wirkt dieses Machtwort auch nur auf den ersten Blick nüchtern. In Wahrheit geht der Kanzler zum ersten Mal seit Beginn der Legislatur in ein ziemlich hohes Risiko ein: Er weist nämlich die FDP stärker als je zuvor in die Schranken und gibt ihr zu verstehen, dass die Ampel kein Regierungsbündnis sein soll, in dem sich einer der drei Partner nach Lust und Laune auf Kosten der anderen profilieren kann – verlorene Landtagswahlen hin oder her. In der Atom-Frage waren sich SPD und Grüne stets einig gewesen. Scholz steht nun offenbar unmissverständlich zu seinem Wort. 

Die Grünen sollten diese Entscheidung jetzt begrüßen und nicht kleinlich darauf verweisen, dass man eigentlich etwas anderes wollte. Der Kanzler ist ihnen auf einem für sie heiklen Themenfeld weit entgegengekommen. Der Atomausstieg scheint für die Partei, die sich zuletzt beispielsweise für Waffenlieferungen an die Ukraine und den Weiterbetrieb von Kohlekraftwerken entschied, auch weiterhin ein unverrückbarer Bestandteil ihrer Historie und Identität zu sein. Ganz ähnlich wie die Schuldenbremse für die FDP. Dass für so viel jeweils eigene Identität in einem Dreierbündnis auch Platz sein sollte, hat Scholz mit seiner klugen Entscheidung nun ebenfalls klargestellt.

Davon jedoch, dass die Streitigkeiten in der Ampel damit aufhören werden, ist nicht auszugehen. Die FDP wird und muss angesichts sinkender Umfragewerte weiter um ihre Existenz kämpfen. Und Lindner hat sich offenbar dazu entschieden, diesen Kampf in aller Deutlichkeit und stellenweise auch kompromisslos zu führen. Nun muss er eine Niederlage einstecken und die Frage wird sein, wie lange ihm seine Partei auf diesem Weg noch so geschlossen folgen wird wie in den vergangenen Monaten. Denn wann der nächste Ampel-Streit ausbrechen wird, es ist nur eine Frage der Zeit.

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