Deutschland im Krisenmodus: Was läuft gut im Kampf gegen das Coronavirus und was kann verbessert werden? Ein Gespräch mit dem SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach.

Karl Lauterbach, 57 Jahre alt, ist nicht nur langjähriger SPD-Politiker, sondern auch Arzt. Der Gesundheitsexperte spricht im Interview mit t-online.de über das Coronavirus-Krisenmanagement der Bundesregierung, den Versuch Donald Trumps, einen deutschen Impfstoff zu kaufen und darüber, was wir lernen können, wenn die Krise einmal überstanden ist.

Donald Trump hat offenbar versucht, die Forschung an einem Impfstoff der Firma CureVac aus Tübingen exklusiv für die USA zu sichern. Wie sehr hat Sie das überrascht?

Es ist sehr außergewöhnlich, dass ein Präsident oder eine ihm unterstellte Behörde einen Impfstoff kaufen will. Die USA haben ja offenbar auch exklusive Rechte für die Nutzung des Impfstoffs beansprucht. So etwas habe ich noch nie erlebt.

Welche Mittel hat der Staat dagegen?

Er kann zunächst natürlich auf diplomatischem Weg eingreifen, also an die US-Regierung appellieren, es nicht zu tun. Zur Not kann der Staat aber auch ein Verkaufsverbot aussprechen. Das wäre eine Notmaßnahme, die begründet werden muss. Es muss also klargemacht werden, dass es sich um einen besonders sensiblen Bereich handelt. Dann müsste das Bundeswirtschaftsministerium den Verkauf an einen ausländischen Eigentümer genehmigen – oder eben nicht. Das wäre im Rahmen einer Eilentscheidung hier wohl möglich gewesen.

Der SAP-Milliardär Dietmar Hopp hat das Geschäft offenkundig verhindert. Hat der Arzneimarkt-Kapitalismus in diesem Fall also funktioniert?

Dietmar Hopp hat sehr gut reagiert, wir sind ihm alle zu großem Dank verpflichtet. Wir wissen zwar noch nicht, ob diese Firma letztlich einen funktionierenden Impfstoff entwickeln kann. Trotzdem ist es wichtig, dass ein Mäzen und Philanthrop wie Hopp klarmacht, dass ein Impfstoff der ganzen Welt zur Verfügung stehen muss und nicht nur einem einzigen Land. Das war eine klare Ansage, die Vorbildfunktion hat.

Sollte man diesen Fall trotzdem zum Anlass nehmen, über die Arzneimittelpolitik nachzudenken?

Unsere Arzneimittelpolitik muss sich ändern. Wir sind bei Medikamenten zu sehr auf das Ausland angewiesen. Die Generika, also die patentfreien Nachfolgemedikamente mit denselben Wirkstoffen, werden maßgeblich in Indien und China hergestellt. Bei den patentierten Medikamenten sind wir immer stärker auf die USA und Großbritannien angewiesen. Es gibt nur noch wenige patentgestützte Innovationen aus Deutschland. Die Ausnahme sind übrigens Impfstoffe, da sind wir weltweit vorn mit dabei.

Warum hinken wir so hinterher?

Wir sind zum Beispiel bei den Start-up-Unternehmen zurückgefallen. Wir haben zwar eine funktionierende Gründerszene, aber die Finanzierung ist nicht so gut wie in den USA oder Großbritannien. Es droht immer der Ausverkauf an amerikanische Geldgeber. Dietmar Hopp ist als Finanzier ein löbliches Beispiel, aber eben die Ausnahme. Auch unsere Universitäten sind zum Teil zurückgefallen. 

Also braucht es vor allem mehr Geld in der Forschung und für Start-ups?

Zum einen müsste die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, Start-ups und Universitäten verbessert werden. Zum Zweiten bräuchten wir eine umfassendere Forschungsförderung bei den Arzneimitteln. Und zum Dritten müssten wir sicherstellen, dass wir die wichtigsten Generika in Europa und bevorzugt in Deutschland herstellen können, um aus der Abhängigkeit von Asien herauszukommen.

Es wird an vielen Stellen an einem Impfstoff für das Coronavirus SARS-CoV-2 geforscht. Wann rechnen Sie mit einem Erfolg?

Das ist sehr schwer abzuschätzen. Aber realistischerweise werden wir noch etwa ein Jahr auf einen Impfstoff warten müssen.
 

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Was muss Deutschland bis dahin tun, um die Krise einzudämmen?

Wir müssen die Public-Health-Methoden einsetzen, die wir schon praktizieren: sorgfältig Händewaschen, Abstand zu anderen Menschen halten, in die Armbeuge husten, in der Öffentlichkeit möglichst wenige Gegenstände anfassen, auf das Händeschütteln verzichten und so weit möglich zu Hause bleiben. Das klappt meinem Eindruck nach bisher auch relativ gut. So bremsen wir die Geschwindigkeit der Ausbreitung.

Und was muss im Gesundheitssystem passieren?

Wir müssen es auf die Behandlung von mehr Fällen einstellen: mehr Betten auf den Intensivstationen, die Beatmungsmöglichkeiten ausbauen und auch die Diagnostik. Da sind wir gut gestartet, so müssen wir weitermachen. Die Sterblichkeit ist bei uns eher gering. Zudem muss intensiv an der Entwicklung von Medikamenten geforscht werden, mit denen die Krankheit bekämpft werden kann. Ich halte es für realistisch, dass wir zuerst Medikamente haben werden und erst dann einen Impfstoff.

Wann ungefähr?

Das kann man nicht sagen. Aber es wird gerade eine Reihe verschiedener Medikamente getestet.

Andere Staaten wie Österreich schränken das Leben sehr viel deutlicher ein als Deutschland. Reagieren wir entschlossen genug?

Wir sind relativ drastisch und schnell eingestiegen. Das, was wir gemacht haben, beginnt zu wirken, das sollte man betonen. Ich glaube aber auch, dass es bei diesen Maßnahmen nicht bleiben wird.

Eine Ausgangssperre, bei der die Menschen nur noch das Nötigste erledigen dürfen wie etwa Einkäufe oder Ähnliches, wird also kommen?

Darüber jetzt zu spekulieren, ist zu früh. Bisher sind die Maßnahmen aber zur rechten Zeit getroffen worden. Die geringe Sterblichkeit zeigt, dass wir relativ viel getestet haben und das Gesundheitssystem recht gut vorbereitet ist. Im Vergleich zu anderen Ländern müssen wir uns nicht verstecken.

Haben ein Gesundheitsminister Jens Spahn und eine Kanzlerin Angela Merkel genügend Kompetenzen für eine solche Krise? Oder muss man am Föderalismus in Deutschland für solche Notsituationen etwas ändern?

Wir müssen uns nach der Krise anschauen, ob wir in der föderalen Struktur gut genug auf solche Krisen vorbereitet sind. Ich persönlich denke, dass wir das eher nicht sind. Aber das ist eine Debatte, die wir auf keinen Fall jetzt führen sollten. Jetzt kann es ausschließlich um die Bekämpfung der Seuchen gehen. Bund und Länder haben sich nun auch gut abgestimmt in Berlin. Damit haben wir eine weniger föderale Struktur simuliert. Aber nach der Krise werden wir noch mal auf die Notfall- und Pandemiepläne zurückkommen. Wir sollten Regelungen finden, wie wir in Krisen einheitlicher und verbindlicher aus Berlin steuern können.

Welche Konsequenzen müssen nach der Krise fürs Gesundheitssystem gezogen werden?

Wir müssen dazu kommen, dass die Krankenhäuser in der Fläche nicht so extrem auf Wirtschaftlichkeit angewiesen sind. Dort wird zum Teil sehr viel operiert und es werden sehr viele Leistungen stationär angeboten, und das nur deshalb, weil die Krankenhäuser sonst finanziell nicht klar kämen. Das behindert gute Versorgung, gerade in solchen Krisen. Stattdessen brauchen wir mehr Pflegepersonal, die Vorhaltekosten der Krankenhäuser müssen wieder stärker berücksichtigt werden, und die Länder müssen die Investitionskosten auskömmlich tragen. Die Ökonomisierung unserer Krankenhäuser ist in den letzten Jahren zu weit gegangen. Aber über diese Themen muss jetzt weder beraten noch entschieden werden. Jetzt gilt es, der Herausforderung durch das Coronavirus zu begegnen. Die Krankenhäuser machen eine großartige Arbeit im Moment. 

Herr Lauterbach, Sie selbst hatten sich vor einiger Zeit auch in Quarantäne begeben. Wie geht es Ihnen?

Mir geht es gut, ich bin aus der Quarantäne raus. Ich war in einem Raum mit einem Infizierten. Das liegt mittlerweile 14 Tage zurück und ich bin nicht erkrankt. Die Wahrscheinlichkeit, jetzt noch zu erkranken, ist extrem gering. Ich habe aber die Gelegenheit genutzt, viel nachzudenken. Das ist für uns alle eine gewaltige Herausforderung. Wir müssen unsere Gemeinsamkeiten betonen, um sie zu bewältigen.

Verwendete Quellen:

  • Telefonisches Interview mit Karl Lauterbach

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