Kündigt sich ein Dammbruch an? Nach dem „Appell konservativer Unionsmitglieder in Thüringen“, in dem 17 CDU-Mitglieder „ergebnisoffene“ Gespräche ihrer Partei mit den Linken, aber auch mit der AfD fordern, schrillen innerhalb und außerhalb der Union die Alarmglocken – es geht um die Richtung der CDU und um die Werte unserer Demokratie, so der Tenor.

In dem Schreiben mit dem Titel „Demokratie erfordert Dialog“, über das die „Ostthüringische Zeitung“ zuerst berichtet hatte, erklären die Politiker, ihre Partei müsse sich „aktiv am Gesprächsprozess mit ALLEN demokratisch gewählten Parteien im Thüringer Landtag beteiligen“, schließen jedoch gleichzeitig Koalitionen mit der Linkspartei und der AfD aus. „Es ist undenkbar, dass wir in einer freiheitlichen Gesellschaft wieder Rede- und Denkverbote zulassen“, begründen sie ihren Vorstoß.

17 von 10.000 CDU-Mitgliedern in Thüringen

Unterzeichnet ist der Appell vorwiegend von CDU-Mitgliedern mit Parteiämtern auf Kommunal- oder Kreisebene, aber auch vom Landtagsabgeordneten Jörg Kellner. Er reagierte bislang nicht auf eine stern-Anfrage zu dem Aufruf. Viele der Unterzeichner werden dem Lager des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der CDU in Thüringen, Michael Heym, zugerechnet, oder stehen der sogenannten Werte-Union nahe. Insgesamt hat der Landesverband rund 10.000 Mitglieder.

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Heym hatte bereits nach der Landtagswahl im Freistaat, aus der die CDU als größte Verliererin und drittstärkste Kraft hervorging, gefordert, ein rechnerisch mögliches Bündnis aus Union, FDP und AfD nicht von vornherein auszuschließen.

Schon nach dieser Äußerung hagelte es Kritik. Sie ist nach Veröffentlichung des Appells noch einmal lauter geworden, die CDU ist in Aufruhr.

Generalsekretär Paul Ziemiak bemühte sich einmal mehr um Schadensbegrenzung und darum, die Reihen geschlossen zu halten. „Die AfD sät Hass und versucht, unser Land zu spalten“, sagte er. „Der Beschluss des Bundesparteitags bindet alle, insbesondere die in der Partei Verantwortung haben.“ Ziemiak nannte die Diskussion über eine Zusammenarbeit mit der AfD in Thüringen „absurd“ und den Appell der 17 Parteikollegen „irre“. „Die Meinung der CDU hat sich nicht geändert. Punkt aus. Ende der Durchsage.“ 

Unvereinbarkeitsbeschluss für AfD und Linkspartei

Die CDU hatte im Dezember auf ihrem Parteitag in Hamburg zum wiederholten Mal beschlossen, „Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit sowohl mit der Linkspartei als auch mit der Alternative für Deutschland“ abzulehnen.

Auch Landes-Generalsekretär Raymond Walk bekräftigte das Nein der Partei zu einer Kooperation mit der AfD. „Der Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU gilt“, sagte er der Nachrichtenagentur DPA. CDU-Urgestein Ruprecht Polenz nannte die Unterzeichner des Appells „politische Geisterfahrer“.

Die Reaktionen außerhalb der Union fielen heftig aus. Der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sagte dem Berliner „Tagesspiegel“: „Die Thüringer CDU-Kommunalpolitiker, die gesprächsoffen für die AfD sein wollen, handeln verantwortungslos. Denn sie tragen dazu bei, die AfD weiter salonfähig zu machen.“ Schuster erinnerte in der Zeitung daran, dass sich schon einmal in der deutschen Geschichte bürgerliche Politiker als „Steigbügelhalter für eine Partei von Rechtsaußen betätigt“ und damit „furchtbar geirrt“ hätten. „Das sollte bis heute eine ausreichende Warnung für alle Demokraten sein.“

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Auf völliges Unverständnis stieß der Vorstoß der 17 CDU-Mitglieder bei der SPD. Generalsekretär Lars Klingbeil forderte CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer auf, ein Machtwort zu sprechen: „Die Brandmauer nach rechts kriegt in der Union immer und immer mehr Risse. Es wird Zeit, dass das gestoppt wird“, schrieb er in Richtung der Verteidigungsministerin. Doch AKK schweigt bislang zu dem Thema.

Was hat Mike Mohring vor?

Wie die AfD CDU-Spitzenkandidat Mike Mohring tatsächlich in die Staatskanzlei hieven könnte, skizzierten indes die Aktivisten des Zentrums für Politische Schönheit: Bei der laut Landesverfassung anonymen Wahl des künftigen Ministerpräsidenten genügt spätestens im dritten Wahlgang eine einfache Mehrheit, entweder dann oder schon früher würde Mohring mit den Stimmen der AfD tatsächlich gewählt, prophezeite des Künstlerkollektiv bei Twitter. „Die AfD wird ihn bei jeder Gelegenheit vorführen, demütigen und spüren lassen, wer zweitstärkste Partei ist. Es endet, wie solche Experimente des deutschen Konservatismus immer enden: im Debakel!“

Was Mohring tatsächlich für einen Plan hat, ist unterdessen weiter unklar. Er kündigte nach der Wahl an, auch mit der Linkspartei zu sprechen, schloss eine Koalition jedoch aus. Schon vor dem Urnengang hatte er sich festgelegt, weder mit der AfD noch mit den Linken koalieren zu wollen. „Das für Thüringen Beste in dieser komplizierten Situation ist eine Viererkoalition aus CDU, SPD, Grünen und FDP. Sie kann nach der Verfassung auch als Minderheitsregierung ohne Stimmen der AfD und der Linken gewählt werden“, sagte er jüngst der „Bild“-Zeitung. 

Warum Mohring aus dem Ergebnis seiner Partei bei der Landtagswahl überhaupt einen Regierungsanspruch ableitet, wie er sich eine Regierung unter seiner Führung konkret vorstellt und was er als CDU-Chef in Thüringen von dem Vorstoß seiner 17 Parteikollegen hält, wäre interessant zu erfahren. Eine stern-Anfrage an Mohring blieb unbeantwortet.

Quellen: „Ostthüringische Zeitung“, Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU, Ruprecht Polenz, Lars Klingbeil, Zentrum für Politische Schönheit, „Tagesspiegel“, „Bild“-Zeitung, Nachrichtenagenturen DPA und AFP

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