Die Krise in der Ukraine spitzt sich zu. Der Westen rechnet dort in den kommenden Tagen mit einer Invasion Russlands. Putin bestreitet das. Und Polen bereitet sich auf ukrainische Flüchtlinge vor.

Vor der Reise von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nach Kiew und Moskau wächst die Furcht vor einer militärischen Eskalation des Ukraine-Konflikts. Nach den USA und anderen westlichen Ländern forderte am Wochenende auch Deutschland seine Staatsbürger auf, die Ukraine zu verlassen. Die diplomatischen Bemühungen um eine Entschärfung des Konflikts treten derweil auf der Stelle. Während die USA Russland erneut vor den Folgen eines Einmarschs in die Ukraine warnten, warf der Kreml dem Westen „Hysterie“ vor.

Scholz wird am Dienstag zu einem Treffen mit Kreml-Chef Wladimir Putin in Moskau erwartet. Zuvor reist er am Montag nach Kiew. Bei seinem Gespräch mit Präsident Wolodymyr Selenskyj dürften auch die Forderungen der Ukraine nach Waffenlieferungen zur Sprache kommen, die von der Bundesregierung bislang abgelehnt wurden. STERN PAID Interview McFaul 20.14h

Scholz werde auch in Kiew voraussichtlich keine Zusagen zur Lieferung von Waffen oder militärischem Material machen, hieß es am Sonntag aus Regierungskreisen in Berlin. Eine Anforderungsliste der ukrainischen Seite werde weiter geprüft. Möglich ist bei dem Besuch demnach aber ein Angebot für weitere wirtschaftliche Unterstützung.

Zwischen „anderen Szenarien“ und „Hysterie“

Ein massiver russischer Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze sowie russische Militärmanöver in Belarus und im Schwarzen Meer schüren derzeit die Furcht vor einem nahenden russischen Einmarsch in die Ukraine. Moskau bestreitet jegliche Angriffspläne und führt an, sich von der Nato bedroht zu fühlen. 

US-Präsident Joe Biden warnte Putin am Samstag nach Angaben des Weißen Hauses erneut vor raschen und schwerwiegenden Folgen für Russland im Falle einer Invasion. Biden betonte in dem Telefonat, die USA seien „zwar weiterhin bereit, sich auf diplomatischem Wege zu engagieren, wir sind aber auch auf andere Szenarien vorbereitet“. 

„Die Hysterie hat ihren Höhepunkt erreicht“, sagte Putins außenpolitischer Berater Juri Uschakow nach dem Telefonat vor Journalisten. Er betonte zugleich, dass „die Präsidenten übereingekommen sind, die Kontakte auf allen Ebenen fortzusetzen“.Satellitenfotos Russland Militär 15.56

USA warnen vor Invasion und Israel ruft Staatsbürger zurück

Die US-Regierung hatte zuvor vor einer möglichen russischen Invasion in der Ukraine noch vor dem kommenden Wochenende gewarnt. Auch der britische Verteidigungsminister Ben Wallace warnte in einem Interview mit der „Sunday Times“, ein russischer Einmarsch in die Ukraine könne „jederzeit“ erfolgen. Er kündigte am Sonntag an, aus Sorge „wegen der sich verschlechternden Situation in der Ukraine“ vorzeitig aus einem Urlaub nach London zurückzukehren.

In US-Medien war von einem möglichen russischen Großangriff kurz nach Scholz‘ Besuch in Moskau die Rede. „Wir sehen weiterhin sehr besorgniserregende Zeichen einer russischen Eskalation, darunter die Mobilisierung weiterer Soldaten an den Grenzen zur Ukraine“, sagte US-Außenminister Blinken am Samstag. Zuvor hatte das Weiße Haus US-Staatsbürger eindringlich zum sofortigen Verlassen der Ukraine aufgefordert, weitere westliche Länder schlossen sich dem an. 

Auch das Auswärtige Amt gab am Samstag eine Reisewarnung aus, in der es Deutsche zum sofortigen Verlassen der Ukraine aufrief. Eine militärische Eskalation im Ukraine-Konflikt sei „nicht auszuschließen“. Zuletzt hatte Israels Ministerpräsident Naftali Bennett israelische Staatsbürger dazu aufgerufen, das Land so schnell wie möglich zu verlassen. Man hoffe auf eine Beendigung der Spannungen ohne Eskalation, wisse aber nicht, wie sich die Lage weiter entwickeln werde, sagte Bennett am Sonntag. Deshalb habe man über das Wochenende dafür gesorgt, dass die Zahl der Flüge aus der Ukraine nach Israel deutlich aufgestockt wurde. Nach Angaben des Außenministeriums leben rund 15.000 Israelis in der Ukraine. Der israelische Verteidigungsminister Benny Gantz wies nach Angaben seines Büros vom Sonntag die Armee an, sich auf die Möglichkeit einer Evakuierung von Israelis aus der Ukraine vorzubereiten.

Polen bereitet Aufnahme von Flüchtlingen vor

Putin wies Berichte über einen unmittelbar bevorstehenden Angriff als „provokative Spekulationen“ zurück. In einem Telefonat mit Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron warf er dem Westen vor, der Ukraine „moderne Waffen“ zu liefern und damit „Bedingungen für mögliche aggressive Aktionen der ukrainischen Sicherheitskräfte im Donbass“ zu schaffen. In der ostukrainischen Donbass-Region kämpfen seit 2014 pro-russische Separatisten gegen die ukrainische Armee.PAID SituationGrenzePolenBelarus 14.37

Der Kreml kündigte am Samstag einen Teil-Abzug seines diplomatischen Personals aus der Ukraine an. Grund seien „mögliche Provokationen seitens des Kiewer Regimes oder anderer Länder“.

Nach Warnungen der US-Regierung vor einem möglicherweise bevorstehenden russischen Angriff richtet sich Polen auf die Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine ein. Angesichts der Situation in dem Nachbarland bereite man sich auf verschiedene Szenarien vor, schrieb Innenminister Mariusz Kaminski am Sonntag auf Twitter. „Dazu zählen auch die Vorbereitungen der Chefs der Gebietsverwaltungen mit Blick auf einen eventuellen Zustrom von Flüchtlingen aus der Ukraine, die wegen eines möglichen Konflikts in unserem Land Schutz suchen könnten.“

Ukraine: Luftraum bleibt offen

Ukrainische Staatsbürger dürfen derzeit zu touristischen Zwecken nach Polen und in den Schengenraum ohne Visum für bis zu 90 Tage einreisen. In Polen gibt es zudem viele ukrainische Arbeitskräfte. Nach Angaben des polnischen Ausländeramts besaßen im Dezember mehr als 300.000 Menschen aus der Ukraine eine Aufenthaltsgenehmigung, meist befristet auf drei Jahre. Die Zahl der Ukrainer, die im Nachbarland auch ohne entsprechende Genehmigung arbeiten, dürfte um ein Vielfaches höher liegen.

Ungeachtet wachsender internationaler Warnungen vor einer militärischen Eskalation des Ukraine-Konflikts hat die Regierung in Kiew angekündigt, den ukrainischen Luftraum offen halten zu wollen. „Der Luftraum über der Ukraine bleibt offen und der Staat arbeitet daran, Risiken für Fluggesellschaften auszuschließen“, erklärte das Infrastruktur-Ministerium nach einer Krisensitzung am Sonntag. Wegen Ukraine-Krise: Flugverkehr zwischen Ukraine und Russland eingestellt

Kiew befürchtet, dass die Ukraine wegen des aktuellen Konflikts mit Russland vom internationalen Flugverkehr abgeschnitten werden könnte. Am Samstag hatte die niederländische Fluggesellschaft KLM die vorläufige Einstellung ihrer Ukraine-Flüge bekanntgegeben. Am Sonntag wurde dann bekannt, dass einer Maschine des ukrainischen Billigfliegers Skyup von ihrer irischen Leasinggesellschaft in letzter Minute die Fluggenehmigung für die Ukraine untersagt wurde. Das aus Portugal kommende Flugzeug mit dem Ziel Kiew musste daraufhin außerplanmäßig in Moldau landen.

Luftfahrtexperten erwarten, dass auch andere westliche Fluggesellschaften ihre Verbindungen in die Ukraine bald einstellen – auch, weil die Versicherungskosten für solche Flüge angesichts der Krise weiter steigen dürften. Hinzu kommt die Erinnerung an den Abschuss des Malaysia-Airlines-Fluges MH17 über der Ostukraine im Jahr 2014, bei dem 298 Menschen getötet wurden.

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