Der Mann mit dem dunklen Schnurrbart und den buschigen Augenbrauen ist derzeit in Frankreich überall zu sehen. Philippe Martinez, Chef des linken französischen Gewerkschaftsbunds CGT, warnt im Fernsehen: „Solange nicht alle drei Punkte der Reform zurückgenommen werden, wird weitergestreikt.“ Der 58-Jährige ist einer der Anführer der Streiks in Frankreich, zu denen zahlreiche Gewerkschaften aufgerufen haben. Martinez sagte eine „massive Mobilisierung“ voraus und will Präsident Emmanuel Macron in die Knie zwingen. Die Streiks richten sich gegen dessen Rentenreform.

Im Detail ist die noch gar nicht bekannt. Doch die „drei Punkte“, um die es Martinez geht, stehen im Zentrum der geplanten Veränderungen.

  • Es soll ein Punktesystem geben, jeder verdiente Euro macht einen Punkt auf dem Rentenkonto. Macron nennt das gerecht – Martinez sieht dadurch Vielverdiener bevorzugt und Menschen mit wenig Einkommen benachteiligt.
  • Möglicherweise soll länger gearbeitet werden als bislang.
  • Für die Berechnung der Rente sollen nicht mehr nur die verdienststärksten Jahre herangezogen werden; stattdessen soll das gesamte Arbeitsleben Berechnungsgrundlage sein, was zu sinkenden Renten führen würde.

Martinez, seit 1984 CGT-Gewerkschafter, kritisiert dies als unausgewogen: „Die wirklich Privilegierten fasst Macron nicht an.“ Schon seit Langem stellt der Gewerkschaftsboss Macron als „Präsident der Reichen“ dar, der den Unternehmen großzügige Geschenke mache, aber die Armen im Land vergesse. Martinez nutzt die Unzufriedenheit in der Bevölkerung und spricht gern von „Klassenkampf“.

Der Vater Arbeiter, die Mutter Putzfrau

Seit 2015 ist Martinez Chef der CGT, gewählt wurde er mit 93,4 Prozent der Stimmen. Die CGT war einst das mächtigste Arbeitnehmerbündnis im Land, doch streitet sie sich seit Jahren mit der gemäßigten CFDT darüber, wem der erste Platz gebührt. Deshalb steht für Martinez viel auf dem Spiel. Die Streiks sind eine Gelegenheit, neue Anhänger zu gewinnen, indem er auf soziale Gerechtigkeit pocht.

Martinez ist beliebt, weil er aussieht und auftritt wie ein normaler französischer Arbeiter. Das ist keine Pose. Er ist Sohn spanischer Einwanderer, sein Vater war Arbeiter, seine Mutter Putzfrau. Das macht Martinez glaubwürdig. „Als wir Cowboy und Indianer spielten, wollte er lieber Indianer sein, auf der Seite der Unterdrückten kämpfen“, zitieren französische Medien einen Schulfreund über Martinez.

Der Gewerkschaftsboss kümmert sich nicht um Konventionen. Zu Treffen mit Regierungsvertretern geht er gern in Secondhandjacke und ohne Krawatte, während Kollegen der anderen Gewerkschaften sich herausputzen.

Bertrand Guay/REUTERS

Gewerkschaftsboss Martinez (links am Tisch): Leger beim Treffen mit Premierminister Edouard Philippe (r.)

In jungen Jahren ging Martinez zur kommunistischen Partei. 2002 trat er ohne Begründung aus. Allerdings fährt er als Gewerkschafter einen entschieden linken Kurs und versucht, die Franzosen für seine Sache zu gewinnen, die mit der Regierung unzufrieden sind. Damit setzt er sich radikal von der gemäßigten CFDT ab, die nicht zum Streik aufgerufen hat.

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Martinez hat sich seinen Posten hart erkämpft. Als Metallarbeiter bekam er eine Stelle in einer Renault-Fabrik bei Paris, wo er Gewerkschaftsvertreter wurde. Im Werksteam spielte er Fußball.

Er weiß, wie er Aufsehen erregt: Im Jahr 1997 bestand er auf einem Verbot von Entlassungen. Bevor er Chef der CGT wurde, war er sechs Jahre innerhalb des Gewerkschaftsbunds für die nationale Metallbranche zuständig, eine der mächtigsten Sparten der CGT. „Er ist sehr solide, ein Pragmatiker“, sagte Bernard Vivier, Direktor des Forschungsinstituts Institut supérieur du travail.

Erst mutig fordern, dann pragmatisch verhandeln

Kaum war Martinez 2015 Chef der CGT geworden, kündigte er an, sich für eine 32-Stunden-Woche einzusetzen. Macrons Reformen des Arbeitsrechts verurteilte Martinez schon, als dieser noch Minister war – und genauso, nachdem Macron zum Präsidenten gewählt wurde.

Der Gewerkschaftsboss forderte die Rente mit 60, derzeit liegt das Renteneintrittsalter in Frankreich bei 62 Jahren. Zudem will Martinez einen Mindestlohn von 1800 Euro im Monat; derzeit sind es rund 1500 Euro bei einer 35-Stunden-Woche. Martinez ist ein Taktiker, erst stürmt er voraus, dann verhandelt er pragmatisch. „Ein echter Politiker“, sagen Gewerkschaftskollegen über ihn.

Martinez setzt sich dafür ein, Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen zu beseitigen. Für ihn sind soziale Errungenschaften für alle der beste Garant im Kampf gegen Rassismus und rechtsradikale Parteien. Seine Taktik im derzeitigen Sozialkampf: mürbe machen. Martinez sagt nicht, wie lange der Aufstand dauern soll. Jeden Tag soll neu entschieden werden – abhängig von den Zugeständnissen der Regierung.

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