Jeder kennt Linda W. Die junge Frau aus Pulsnitz in Sachsen, die ihre Familie zurückließ, mit nichts als einem Vermerk „Bin Sonntag gegen um 16 Uhr wieder da, Linda“. Die junge Frau, die dann aber nicht wiederkam. Die stattdessen einen Flug nach Istanbul nahm, dann nach Syrien weiterzog, um sich mit 15 Jahren dem sogenannten Islamischen Staat anzuschließen. Die heiratete, offenbar, einen Kämpfer mit tschetschenischen Wurzeln. Die im Sommer dieses Jahres im irakischen Mossul festgenommen wurde. Bei ihrer Festnahme trug sie rötliches Haar und ein gestreiftes Halstuch, die Bilder gingen um die Welt. Jeder kennt Linda W., seitdem. 

Linda W. sagt über sich: „Ich hab mir mein Leben damit ruiniert, ich komme nur mit körperlichen Beschwerden wieder und hab mir meine Zukunft versaut, auf Deutsch gesagt. Alle kennen mich, alle wissen, wie ich aussehe, ich kann nirgends mehr hingehen, ohne erkannt zu werden, und ich finde wahrscheinlich nicht mal eine Arbeit mehr, und alle werden sagen, so was stellen wir sowieso nicht ein.“

Linda W. ist heute 17 Jahre alt. Sie sitzt in einem Gefängnis in Bagdad, Irak. An einem Tag im Spätherbst sitzen ihre Mutter, ihre Schwester und Reporter von NDR, SWR und Süddeutscher Zeitung bei ihr, in einem Justizpalast in der irakischen Hauptstadt. Die Journalisten planen ein großes Stück zu Linda W. Die Süddeutsche Zeitung veröffentlicht die Reportage „Was tun?“ in ihrer Freitag-Ausgabe auf Seite 3. Das Erste zeigt „Den Fall Linda W.“ Donnerstagnacht im „Weltspiegel“. Auch „Die Zeit“ schreibt über Linda W., über das Mädchen, das offenbar „nein, nicht Adrenalin, Abenteuer“ gesucht hatte.

Genervt, unverstanden, vernachlässigt: Linda W. bricht auf

Hinter dem Fall Linda W. stecken viele Geschichten. Linda W. ist eine von vielen, die irgendwann 2014 irgendwo in Europa aufbrachen, um in den „Islamischen Staat“ zu ziehen. Nach der Ausrufung des Kalifats 2014 gingen die Ausreisezahlen zunächst stark nach oben. Die Szene war euphorisiert, die propagandistischen Lockrufe laut. Laut Informationen, die der Verfassungsschutz im Sommer bekanntgab, reisten in den vergangenen Jahren mehr als 930 Islamisten aus Deutschland in die Kriegsgebiete in Syrien und im Irak, um sich dort der Terrorgruppe anzuschließen. 20 Prozent waren Frauen.

Linda W. flog am 2. Juli 2016 von Dresden nach Istanbul. Das hat „Die Zeit“ recherchiert. Zuvor sei die damals 15-Jährige zum Islam konvertiert, zusammen mit anderen Mädchen, in einer Telefonkonferenz. „Die Zeit“ berichtet von Linda als einem Mädchen, das nicht viel vom Islam verstehe, das weglief, „weil es sich von seiner Mutter nicht mehr verstanden fühlte“, dem die Trennung ihrer Eltern schwer zu schaffen machte. Die Klassenkameraden hätten sie zudem genervt, berichtet die „ Süddeutsche Zeitung, „sie fühlte sich nirgends mehr zugehörig“. Unverstanden und vernachlässigt nannten es Lindas Schwestern im Gespräch mit der Polizei. Später fanden die Ermittler einen Gebetsteppich in Lindas Zimmer, einen Koran und ein Tablet mit Dschihad-Videos. Als eine Freundin Linda W. nach ihrem Verschwinden anflehte zurückzukommen, antwortete sie nur: „Ich habe Wichtigeres zu tun, als mir so ein Rumgheule von euch anzuhören. Von wegen komm zurück. Werd ich nicht und will ich nicht!!! Hier ist alles besser.“

Linda W. heiratet, ihr Mann stirbt im Kampf

Das Gefühl, hier am besseren, am richtigen Ort zu sein, hielt sich offenbar nicht lange. Linda W. heiratete. Ihr Mann stammte den Berichten zufolge aus Tschetschenien und hieß Mohammed, mit Kampfnamen „Jadal“, die Ehe sei am Telefon geschlossen worden. „Sehr lieb und nett“ sei er gewesen, soll Linda W. ihrer Mutter einmal geschrieben haben. Er habe sie ruppig behandelt, schreibt „Die Zeit“. Nach fünf Monaten Ehe starb Linda W.s Mann im Kampf. Er sei nun ein Märtyrer, schrieb Linda W. laut „SZ“ danach ihrer Mutter. „Weil ihr mit euren Steuern die Bomben bezahlt.“ Kinder gebar sie keine.

Linda W. habe die meiste Zeit mit anderen Frauen und Kindern in Unterkünften verbracht, man habe geredet, gekocht und geputzt, „ansonsten passierte nicht viel“, heißt es in der „SZ“. Jetzt sehe sie ein, dass sie damals falsch gelegen habe. „Das sagt sie zumindest.“

Der IS ist am Ende, doch die Menschen leben

Für den deutschen Staat ist der Fall Linda W. ein schwieriges Thema: Noch hätten die irakischen Ermittler keine Anklage vorgelegt, schreibt „Die Zeit“, die Todesstrafe droht ihr als Minderjährige laut SZ aber nicht. In Deutschland wartet danach wohl ein weiterer Prozess. Doch wie umgehen, mit den Frauen und Kindern des ehemaligen „Islamischen Staates“? Sind sie Opfer, eine potenzielle Bedrohung oder bereits Täter? Linda W. sagt, sie habe nie eine Waffe berührt, wisse noch nicht einmal, wie „so ein Ding funktioniert“. Doch Frauen im IS stützten das Kalifat von innen, die Bundesanwaltschaft wolle deswegen härter gegen sie vorgehen. Künftig solle es bereits eine terroristische Straftat sein zum „Staatsvolk“ zu gehören. Linda W. sagte der „SZ“, sie sei fertig mit dem Irak. Als die ersten Bomben fielen, habe sie sich gefragt: „Warum bist du Idiot hergekommen?“ Jetzt: „Überall Militär auf den Straßen, ich pack das nicht mehr.“ Auf die Frage, wohin sie denn wolle, antwortete sie: „Deutschland“.

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