Langsam wird’s lächerlich: Während die Wissenschaftler der Leopoldina eine sofortige Verschärfung der Maßnahmen fordern, wird in der Politik noch mit einer Lockerung über die Feiertage geplant. Ziemlich weltfremd nach zehn Monaten Pandemie.

Jetzt geht’s rund im Risikogebiet Deutschland: Hamburg verbietet den Glühwein, Sachsen macht die Schulen dicht, Baden-Württemberg will Quarantäneverweigerer zwangseinweisen, Alkoholverbot und Ausgangssperren in hessischen Hotspots. Keine Frage, der Winter fängt genauso schlimm an, wie es zu befürchten war – und jegliche Maßnahmen von Bund und Ländern scheinen zu verpuffen.

Der so lächerlich genannte „Lockdown Light“, der Anfang November zur Rettung des Weihnachtsfestes ausgerufen wurde, hat seitdem höchstens einen Infektionstsunami verhindert – aber lila leuchtet die deutsche Coronakarte zur Stunde trotzdem.

Harter Lockdown – entweder ganz oder gar nicht

Längst hat sich offenbart, dass Deutschland in der ersten Phase im Frühjahr vor allem Glück gehabt hat im Vergleich zu den meisten anderen Ländern – ganz viel Glück und ein bisschen deutsche Distanz, die von den Mitmenschen hierzulande ja traditionell gewahrt wird. Dass aufgrund dieser glimpflichen Erfahrung anschließend ziemlich tatenlos darauf vertraut wurde, dass es dann wohl auch im Herbst und Winter schon schiefgehen werde, ist sehr ärgerlich, aber leider auch allzu menschlich.

Unverzeihlich ist aber das inkonsequente Gebaren, mit dem Bundesregierung und Landesfürsten immer noch durch die aktuelle Lage torkeln. Nach einem Chaosgipfel, in dem man außer hitzigen Wortgefechten nichts Konstruktives zustande brachte, geht es nun, Wochen später, angesichts stur steigender Zahlen mal wieder los mit den Vorstößen Einzelner. Dabei sind Politiker, die sich mit ihren Maßnahmen gegenseitig über- oder unterbieten wollen, das Letzte, was wir gerade gebrauchen können. Vielmehr wäre ein Konsens vonnöten, der zum Vorbild taugt.

FAQ Bayern Lockdown Coronavirus, 18.50Denn in Deutschland scheint im Dezember 2020 doch ganz offensichtlich nur noch jenes Motto zu helfen, das eher nach Wolle-Petry-Song als nach Krisenbewältigung klingt: „ganz oder gar nicht“. Entweder der Lockdown kommt sofort, hart und bundesweit bis zum 10. Januar – oder wir lassen es bleiben und leben mit den Konsequenzen. Denn mit halbherzigen Verboten wird allzu offensichtlich keine Verbesserung mehr herbeigeführt.

Zwei Beispiele, die dafür exemplarisch stehen: 1) die unsägliche Diskussion um Weihnachten, wenn sich an drei aufeinanderfolgenden Tagen offenbar guten Gewissens drei bis vier Haushalte treffen dürfen, was vorher und nachher aber streng verboten sein soll. Zu diesen Zusammenkünften reisen die Teilnehmer zudem nicht selten quer durchs Land, was aber eigentlich natürlich unbedingt verpönt ist in sogenannten „Corona-Zeiten“. 

Die unsägliche Diskussion um Weihnachten

Bei aller Heiligkeit des Weihnachtsfestes: Wer will eigentlich die Gesundheit insbesondere seiner älteren Familienmitglieder, oder auch seine eigene, unter diesen Umständen gefährden? Wer will dafür wirklich in Kauf nehmen, dass Mitte Januar möglicherweise neue Rekordzahlen in Sachen Infektionen und Todesfälle geschrieben werden? Wie lässt sich so ein Schwachsinn mit dem Ernst der Lage vereinbaren?

PAID Coronaleugner und Weihnachten 16.26Was uns zu 2) bringt: die seltsame Erkenntnis einer aktuellen Forsa-Umfrage, dass die Angst vor einer Infektion mit Covid-19 innerhalb der Bevölkerung ebenso wächst wie die Zustimmung zu strengeren Maßnahmen, dagegen aber die Zahl der Menschen, die ihre Kontakte einschränken, seit dem Sommer deutlich gesunken ist. Hier greift die alte Fehleinschätzung, dass die anderen doch bitte schön mit strengen Auflagen belegt werden, man selbst aber immer noch alleine entscheiden möchte, ob man Menschen trifft, und wenn ja, wie viele. Das Monopol, es besser zu wissen als alle anderen, hat eben jeder für sich exklusiv.

Es ist ja auch irgendwie verständlich: Wer hat nach zehn Monaten Ausnahmezustand noch Lust auf diesen dunkelgrauen Alltag ohne soziale Kontakte, ohne Kunst und Kultur, ohne die allermeisten schönen Dinge des Lebens? Aber wenn wir diesen Winter nicht unnötig in die Länge ziehen wollen, müssen wir wohl oder übel dem Rat der Leopoldina folgen und für den entsprechenden Zeitraum so ziemlich alles dicht machen – und ja, damit wären dann auch Schulen und Einzelhandel gemeint. 

Und zwar jetzt sofort. Nicht erst nach Weihnachten. Oder glaubt irgendjemand allen Ernstes, dass dieses Jahr mit ein paar besinnlichen Festtagen noch zu retten wäre?

Read more on Source