Als Hans Peter Doskozil am Montagnachmittag vor die Presse trat, sagte er: „Es kann nur
besser werden.“ Zwei Tage lang war er zu diesem Zeitpunkt
SPÖ-Parteichef – und hätte es eigentlich nie sein dürfen. 48 Stunden
vergingen zwischen seinem Triumph, der keiner war, und dem Bekanntwerden
eines Fauxpas, der Österreichs Sozialdemokratie den wohl peinlichsten
Moment ihrer jüngeren Geschichte beschert hat. Ja, der burgenländische
Landeshauptmann könnte recht behalten: Viel schlechter kann es nicht
mehr laufen, die SPÖ hat wirklich alles vermurkst. Nach jahrelangen
Streitigkeiten und internen Intrigen stolperte sie erst in eine
Mitgliederbefragung ohne klares Prozedere und dann in die
Kampfabstimmung am Parteitag, wo man es nicht zustande brachte, die 602
Stimmen der Delegierten richtig zuzuordnen.

In
Linz schien endlich alles geklärt: Hans Peter Doskozil, der Mann, der
seit Jahren am Stuhl von Pamela Rendi-Wagner gesägt hatte, sollte der
13. Vorsitzende der österreichischen Sozialdemokratie und nächste rote
Kanzlerkandidat werden. Ein „Lebenstraum“ gehe in Erfüllung, sagte
Doskozil auf der Bühne. Es sollte der endgültige Schlussstrich sein
unter den Machtkämpfen und der Auftakt für die Wiederbelebung der
siechen SPÖ. So der Plan. 

Und dann ging schon wieder alles schief. 

Am
Montagnachmittag lud die
SPÖ eilig zu einer Pressekonferenz. Michaela Grubesa, die Leiterin der
Wahlkommission, verkündete mit versteinerter Miene: „Aufgrund eines
technischen Fehlers eines Mitarbeiters in der Excel-Liste wurde das
Ergebnis vertauscht.“

Spekulationen
über eine fehlende Stimme bei der Auszählung hatten Grubesa veranlasst,
sich am Montag, zwei Tage nach dem Parteitag, „alle Wahlabschnitte,
sämtliche Stimmzettel, alle Protokolle und Unterlagen“ in der
Löwelstraße anzusehen. Das Ergebnis: Es gab tatsächlich nicht, wie zuvor
verkündet, vier, sondern fünf ungültige Stimmen. In der Folge sei ihr
„ein weiterer außerordentlicher Fehler aufgefallen“, fuhr Grubesa mit
belegter Stimme fort: „Die Stimmzettel haben leider nicht mit dem
digital verkündeten Ergebnis zusammengepasst.“ Es habe einen Fehler bei
der Einspeisung der Ergebnisse aus den zwölf Wahlurnen in eine
Excel-Tabelle gegeben, als die Einzelergebnisse zusammengeführt wurden:
„Das Ergebnis wurde umgedreht.“ Nicht Doskozil habe gewonnen, sondern
der Traiskirchner Bürgermeister Andreas Babler. 

Grubesa
sprach von einem „technischen Fehler“, was von den anwesenden
Journalisten ungläubig quittiert wurde: „Können Sie das noch einmal
erklären?“ Grubesa: „Es sind immer Menschen, die einen Computer
bedienen.“ 

Offenbar
wurde das Ergebnis am Samstag nicht nochmals überprüft, auch nicht von
der Wahlkommission und ihrer Leiterin. „Dafür möchte ich die
Verantwortung übernehmen und mich auch entschuldigen“, sagte Grubesa.
„Ich entschuldige mich insbesondere beim Genossen Hans Peter Doskozil.“

Für
den burgenländischen Landeshauptmann zerplatzte in diesen Minuten sein
Lebenstraum – und damit auch seine bundespolitischen Ambitionen. Seine
Pressekonferenz dauerte nur wenige Minuten, er gratulierte Andreas
Babler und kündigte an, künftig alles dafür zu tun, die Partei zu
einigen. Doch „das Kapitel Bundespolitik“, sagte Doskozil, sei für ihn
„ein für alle Mal abgeschlossen“.

Eine
Stunde später trat auch Andreas Babler vor die Presse, nicht jubelnd,
sondern abwartend. Babler erklärte, er habe darum gebeten, alle
abgegebenen Stimmen nochmals zu überprüfen: „Es ist ganz wichtig, dass
jetzt hier keine Fragezeichen mehr bleiben.“ Sollte das Ergebnis
stimmen, sagte er in aller Vorsicht, werde er das Amt übernehmen. „Ich
möchte mich für das Bild, das Teile unseres Apparats abgegeben haben,
aus tiefstem Herzen entschuldigen.“ 

Mit
Babler an der Spitze steht der SPÖ wohl eine größere Veränderung bevor
als unter einem Parteichef Doskozil. Kein Kandidat des Establishments,
scharte er im Eiltempo eine Bewegung um sich, Tausende traten wegen ihm
ein, feierten ihn als linken Visionär, als Genossen, der die SPÖ nach
links rückt, der, so die Hoffnung, nicht Inhalte für den Machterhalt
opfert. Diese Aufbruchstimmung wurde unterschätzt, von Journalisten, von
Funktionären, von allen. Babler war der Außenseiter, doch seine
Sogwirkung enorm.

An
der Parteispitze wird Babler zur Projektionsfläche, auch für seine
Gegner. Sie sehen in ihm einen unverbesserlichen Linksradikalen, seine
Aussagen über die Europäische Union („das aggressivste außenpolitische
militärische Bündnis, das es je gegeben hat“) und seine „marxistische
Brille“ bieten seinen Gegnern weiter Angriffsflächen. Auch der
unbarmherzige Machtkampf wird es dem neuen Parteichef schwer machen, für
die viel beschworene Einigkeit zu sorgen: Von „Feigheit“ war die Rede,
der linke Flügel bezeichnete Doskozil und seine Unterstützer als rechte
Sozialdemokraten oder gar Rechtspopulisten. Um die Wogen zu glätten,
wird es mehr als einen Sitzkreis brauchen. Und dann sind da noch die
eigenen Anhänger – sie waren es, die Babler zum Parteichef gemacht
haben, ihre Erwartungshaltung ist groß. Die Sozialdemokratie soll stramm
links ausgerichtet werden, so kompromisslos wie möglich. Diese
Anspruchshaltung könnte Andreas Babler im schlechtesten Fall zum
Getriebenen machen.

Babler
ist ein Mann, der sich selbst Marxist nennt (siehe Seite 18) und nun
der FPÖ die Stirn bieten muss, die seit Monaten die Umfragen anführt. Ob
Babler die Mehrheit rechts der Mitte brechen kann, daran zweifeln
zumindest jene 47 Prozent der Delegierten, die für Doskozil stimmten.
Wann immer die nächsten Nationalratswahlen stattfinden: Es wird ein
harter Lagerwahlkampf. Schon im Vorfeld des Parteitags schloss Babler
nicht nur eine Koalition mit der FPÖ, sondern auch mit der ÖVP aus. Auch
inhaltlich zeigte er sich kompromisslos: Die Einführung einer
Vermögensteuer sei unter ihm Koalitionsbedingung, er fordert eine
32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich und einen Rechtsanspruch auf
Pflege.

Zur
komplizierten Aufgabe kommt eine schwere Hypothek: Die SPÖ will den
Kanzler stellen – aber kann eine Partei, die weder eine
Mitgliederbefragung noch eine simple Auszählung auf dem eigenen
Parteitag sauber über die Bühne bringt, eine Republik führen?

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