Washington (dpa) – Die Dinge drehen sich schnell im US-Wahlkampf. „Wir sind sehr lebendig“, ruft Joe Biden am Abend des „Super Tuesdays“ seinen Unterstützern in Los Angeles zu. Es ist eine Botschaft an alle, die die Kampagne des Ex-Vizepräsidenten schon für tot erklärt haben.

„Diese Kampagne hebt ab“, jubelt Biden. Nach einer langen Durststrecke hat er Grund zum Überschwang: Am wichtigsten Tag der Vorwahlen im Präsidentschaftsrennen der Demokraten gewinnt Biden laut Prognosen überraschend mindestens 9 von 14 Bundesstaaten, darunter das Schwergewicht Texas.

ZWEIKAMPF ÄLTERER HERREN

Bei der wichtigsten Vorwahl in Kalifornien sehen Berechnungen zwar den linken Senator Bernie Sanders vorn. Klar ist aber bereits eines: Sanders ist am „Super Tuesday“ entgegen vieler Erwartungen nicht der klare Sieger – und die Demokraten-Vorwahl ist zum Altherren-Zweikampf geworden. Die Endsiebziger Biden (77) und Sanders (78) schicken sich an, im November den auch nicht mehr blutjungen Amtsinhaber, US-Präsident Donald Trump (73), herauszufordern. Manege frei für den Wahlkampf alter weißer Männer.

BIDENS UNVERHOFFTE SIEGESSERIE

Plötzlich läuft es für Biden geschmeidig. In einem Staat nach dem anderen wird er am „Super Tuesday“ zum Sieger erklärt: In North Carolina, Virginia, Alabama, Tennessee, Oklahoma, Minnesota, Arkansas, Massachusetts und am frühen Mittwochmorgen sogar in Texas. Sanders sichert sich seinen Heimatstaat Vermont, dazu Colorado und Utah. Und er hat Aussicht auf den „Hauptpreis“: den Sieg im bevölkerungsreichsten Bundesstaat Kalifornien, der im Juli die meisten Delegierten zum Nominierungsparteitag nach Milwaukee schickt.

Sanders gibt sich vor Anhängern in seiner Heimat Vermont betont optimistisch: „Heute Abend sage ich euch mit absoluter Zuversicht, dass wir die demokratische Nominierung gewinnen werden.“ Biden bedenkt er mit einigen Breitseiten. Trump sei nicht mit der „immer gleichen alten Politik“ zu schlagen. Es müsse einen Aufbruch geben. „Dies wird der Kontrast der Ideen.“ In der Tat: Der hart linke Sanders gegen den gemäßigten Mann des Mainstreams, Biden.

PEINLICHE PATZER UND PLÖTZLICHER TRIUMPH

Über Monate hatte Biden geschwächelt. Bei öffentlichen Auftritten und Fernsehdebatten leistete er sich peinliche Verhaspler, Patzer und Aussetzer. Mal verwechselte er Orte, mal seine Frau, mal das Amt, um das er sich bewirbt („Ich bin demokratischer Bewerber für den US-Senat“). Kritiker spotteten, Biden könne nicht einmal simple Gedanken in Worte fassen und Sätze zu Ende bringen. In nationalen Umfragen fiel er dramatisch zurück. Bei den ersten Vorwahlen in Iowa, New Hampshire und Nevada fuhr er nur enttäuschende Ergebnisse ein.

Doch dann kam South Carolina: Biden triumphierte vergangenen Samstag in dem südlichen Bundesstaat mit vielen afroamerikanischen Wählern. Für viele von ihnen bedient er die Sehnsucht nach den Jahren unter dem ersten schwarzen Präsidenten Barack Obama, dessen Vize Biden war. Kurz nach South Carolina stiegen wichtige Konkurrenten aus dem moderaten Lager aus dem Rennen aus: der Ex-Bürgermeister Pete Buttigieg und die Senatorin Amy Klobuchar. Sie riefen ihre Anhänger auf, zu Biden überzulaufen. Das gab ihm ungeahnten Schwung.

ENTTÄUSCHTE ERWARTUNGEN

Dabei hatte Sanders beste Aussichten, der große Abräumer beim „Super Tuesday“ zu werden und sich einen schwer einholbaren Vorsprung zu sichern. Er lag nach den ersten vier Vorwahlen vorn und führte über Wochen in nationalen Umfragen. Der unabhängige Senator hat eine leidenschaftliche Anhängerschaft, elektrisiert junge Leute, füllt seine Wahlkampfkasse durch eine beeindruckende Zahl von Kleinspenden. Er ist unverbogen, vertritt seit Jahrzehnten mit Verve die gleichen Positionen – etwa für eine Krankenversicherung für alle. Gleichzeitig polarisiert er mit seiner linken Agenda. Das Partei-Establishment ist gegen ihn. Doch auch er hat weiter gute Chancen auf die Nominierung.

Anders sieht es bei der linksgerichteten Senatorin Elizabeth Warren aus. Der „Super Tuesday“ endet für sie enttäuschend – selbst in ihrer Heimat Massachusetts verliert sie. Noch gibt sie sich kämpferisch. Je schneller sie aus dem Rennen aussteigt, desto besser für Sanders.

AUCH DIE MILLIONEN HELFEN NICHT

Hunderte Millionen US-Dollar pumpte er in seine Werbeoffensive in den „Super Tuesday“-Staaten. Nach seinem kläglichen Vorwahl-Debüt am Dienstag sieht der Milliardär und frühere New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg aber ein, dass seine Rechnung nicht aufgegangen ist: Am Tag nach dem bösen Erwachen zieht er sich aus dem Rennen zurück und erklärt seine Unterstützung für Biden – was diesem einen weiteren bedeutenden Schub versetzen könnte. Vor rund drei Monaten hatte der 78-Jährige äußerst spät seine Bewerbung bekanntgegeben, was Beobachter als Reaktion auf Bidens Schwäche sahen.

TRUMP KANN SICH FREUEN

Dem Präsidenten dürfte der Stand des Rennens gefallen. Ihm wären sowohl Biden als auch Sanders als Gegner recht: Biden liefert Trumps Team durch seine verbalen Fehltritte regelmäßig Munition für Spott. Selbst unabhängige Beobachter prophezeien, Trump werde Biden bei TV-Debatten vorführen und verbal zerlegen. Sanders könnte gegen Trump zwar durchaus bestehen. Aber der selbst ernannte „demokratische Sozialist“ bietet Trump viel Angriffsfläche. Der Präsident würde gegen Sanders wohl mit Inbrunst einen Anti-Sozialismus-Wahlkampf führen und vor venezolanischen Verhältnissen und linksradikalem Fanatismus warnen. „Ich werde es mit jedem aufnehmen“, sagt Trump. Noch ist offen, welcher Demokrat gegen ihn antreten wird. Steht am Ende der Vorwahlen im Juni kein Gewinner fest, dürfte es zum Showdown beim Parteitag kommen.

Read more on Source