Lohnt sich Arbeit noch? Die Diskussion darüber könnte durch neue Zahlen aus dem Bundesarbeitsministerium weiter angefacht werden.

Der aktuelle Mindestlohn reicht in den zehn größten deutschen Städten nicht für eine Rente über dem Mindestniveau der sozialen Absicherung. Das ergibt sich aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des Linken-Abgeordneten Pascal Meiser, die dem stern exklusiv vorliegt.

Den Angaben des Bundesarbeitsministeriums zufolge müssten Arbeitnehmer zwischen 12,72 und 16,14 Euro brutto pro Stunde verdienen, um durch ihren Lohn und ohne zusätzliche Sozialleistungen auf eine Rente zu kommen, die der Höhe der Grundsicherung im Alter in diesen Städten entspricht. Derzeit beträgt der Mindestlohn 12 Euro. 

Die unterschiedlich hohen Zahlen erklären sich dadurch, dass die Höhe der Grundsicherung im Alter auch vom Wohnort abhängt. Die Sozialleistung erhalten diejenigen im Rentenalter, deren Einkommen nicht ausreicht, um den eigenen Lebensunterhalt zu decken. Neben dem Regelsatz von 502 Euro erhalten Empfängerinnen und Empfänger unter anderem auch Geld für die Unterkunft. Dabei gilt: Je teurer der Wohnort, desto höhere Wohnkosten werden übernommen. Das Amt zahlt hier Kosten, die „angemessen“ sind – berücksichtigt also etwa den Mietspiegel in einer Region.

So kommt es, dass sich der berechnete Bruttobedarf in der Grundsicherung im Alter teilweise deutlich unterscheidet: In Leipzig standen alleinstehenden Empfängerinnen und Empfängern Ende Juni dieses Jahres durchschnittlich 918 Euro zu, in Hamburg waren es 1.115 Euro, in Stuttgart und Frankfurt am Main 1.135 Euro, in München sogar 1.165 Euro, so die Zahlen des Ministeriums.

Seit 2021 gibt es einen Zuschlag auf niedrige Renten

Was der Linken-Abgeordnete Meiser mit seiner Anfrage wissen wollte: Was müsste eine Person, die 45 Jahre lang Vollzeit arbeitet, in diesen Städten verdienen, um später mit der Nettorente auf diese Werte zu kommen? In München etwa wären das den Berechnungen zufolge 16,14 Euro brutto – ein Stundenlohn, der deutlich über dem momentanen Mindestlohn von 12 Euro liegt.

Allerdings gibt es zusätzliche Unterstützung für Personen mit niedrigen Renten. Seit 2021 etwa zahlt die Rentenversicherung denjenigen, die lange gearbeitet und dabei unterdurchschnittlich verdient haben, automatisch einen Zuschlag auf die Rente aus, die Grundrente. Berücksichtigt man diese, reicht der Mindestlohn den Berechnungen zufolge in Berlin, Düsseldorf, Leipzig, Dortmund und Essen aus, um das Grundsicherungsniveau zu erreichen – in Stuttgart, Frankfurt am Main, Köln, München und Hamburg aber nicht. Auch können betroffene Personen Sozialleistungen wie etwa das Wohngeld, also einen Zuschuss zur Miete, beantragen und dürften dann über den genannten Schwellen liegen. 

Mit diesen Zahlen dürfte weitere Dynamik in die anhaltende Debatte kommen, ob sich Arbeit im Niedriglohnbereich noch lohnt. Dass wegen der höheren Verbraucherpreise das Bürgergeld zum 1. Januar 2024 um zwölf Prozent steigen wird, entfachte die Diskussion darüber neu, ob der Abstand zwischen den Löhnen im unteren Einkommensbereich und der Sozialleistung groß genug ist. So kritisierte etwa Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU), dass es sich für Mindest- und Niedriglohnbezieher oft nicht mehr lohne zu arbeiten, weil die Sozialleistungen so hoch seien. 

Allerdings wird auch der Mindestlohn erhöht: Zum 1. Januar 2024 wird er auf 12,41 Euro steigen, ein Jahr später auf 12,82 Euro. Dieser Vorschlag der Mindestlohnkommission, den die Arbeitgeber in dem Gremium gegen die Arbeitnehmer durchgesetzt haben, wurde jedoch vielfach als zu niedrig kritisiert.

Ricarda Lang: „Das ist ein Gebot der Fairness“

Für Pascal Meiser, der die Anfrage gestellt hatte, zeigen die Zahlen, „dass der Mindestlohn aktuell insbesondere in den Großstädten weit davon entfernt ist, vor Altersarmut zu schützen“. Das Lohnniveau müsse deshalb dringend flächendeckend steigen, sagte der Linken-Abgeordnete dem stern.

Auch die Co-Vorsitzende der Grünen, Ricarda Lang, fordert – mit Blick auf diese jüngste Antwort der Bundesregierung – einen höheren Mindestlohn. „In unserem Land sollte jeder von seinem Lohn leben können, das ist ein Gebot der Fairness und Wertschätzung“, sagte sie dem stern. „Dafür muss der Mindestlohn weiter steigen – gerade mit Blick auf gestiegene Lebenshaltungskosten und Mieten. So stärken wir auch das Lohnabstandsgebot.“

Für den arbeitsmarktpolitischen Sprecher der FDP-Fraktion hingegen geht es vor allem darum, Menschen perspektivisch in besser bezahlte Arbeit zu bringen. „Ziel unseres Sozialstaats sollte es sein, dass Tätigkeiten zum Mindestlohn nur vorübergehend ausgeübt werden müssen, weil der Aufstieg in besser entlohnte Tätigkeiten für alle klappen sollte“, sagte Pascal Kober dem stern. Auf dieses Aufstiegsversprechen müssten sich die Politik und der Sozialstaat wieder verstärkt ausrichten. 

Auch gehe es um eine „ehrgeizigere Wohnungspolitik“ in den Ballungsräumen, so der FDP-Abgeordnete, „weil der Mangel an Wohnraum zu steigenden Wohnpreisen führt und Lebenshaltungskosten übermäßig verteuert“.

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