Der Streit über den Brexit und das Nordirland-Protokoll spaltet weiterhin die Konservative Partei in Großbritannien. So erfolgreich Premierminister Rishi Sunak in seiner bisherigen Amtszeit auch war – das Verhältnis des Vereinigten Königreiches zur EU ist und bleibt ein anhaltender Zankapfel in seiner Partei.

Am Mittwoch wurde dies erneut deutlich, als das Unterhaus über einen Teil der mit der EU vereinbarten neuen Windsor-Rahmenbedingung abstimmte. Damit der ehemalige Premierminister Boris Johnson an dem Votum teilnehmen konnte, wurde sogar dessen Befragung zu den umstrittenen Lockdown-Partys vor dem Parlamentsausschuss unterbrochen. Sunak ließ am Mittwoch – nach nur 90 Minuten Zeit für eine Debatte – über die sogenannte Stormont-Bremse abstimmen. Dies ist ein Konstrukt, das dem nordirischen Parlament erlaubt, Einspruch gegen EU-Recht zu erheben, das in Nordirland weiterhin gültig ist wegen des Warenhandels. Brexit-Hardliner und die nordirischen Parteien hatten sich gegen die Abmachung mit der EU ausgesprochen.

Das Ergebnis der Abstimmung: Während die Labour-Opposition mit der Regierung stimmte, enthielten sich 100 Abgeordnete, davon 48 Konservative. 22 Abgeordnete der Tories stellten sich gegen den Deal mit Brüssel, ebenso sechs Abgeordnete der nordirischen DUP. Das Ergebnis fiel mit 515 gegen 29 Stimmen jedoch eindeutig positiv für die Regierung aus. Sunak hat gewonnen, aber seine Gegner machen weiter Schlagzeilen. Allen voran Boris Johnson und dessen Nachfolgerin Liz Truss. Sie sind beide ehemalige Premierminister, die Sunak seinen neuen diplomatischen Kurs mit der EU übel nehmen. Sie wären offensichtlich am liebsten selbst wieder am Ruder.

Mit dem Votum wird das Vereinigte Königreich die Windsor-Abmachung umsetzen. Die 27 EU-Mitgliedsländer haben die Einigung mit London bereits am Dienstag abgesegnet. Sie wird am Freitag von beiden Seiten unterzeichnet.

Der Fraktionsvorsitzende der DUP-Fraktion im Unterhaus Jeffrey Donaldson lehnte allerdings eine Regierungsbildung in Belfast weiterhin ab. Die DUP blockiert Stormont seit über einem Jahr, unter anderem, weil die Unionisten nach dem jüngsten Wahlsieg nur noch die zweitstärkste Partei nach Sinn Fein sind. Das Nordirland-Protokoll wird als Argument vorgeschoben. Donaldson sagte am Mittwoch: „Ich akzeptiere nicht, dass sich unsere Produzenten in Nordirland an EU-Recht halten müssen, selbst wenn sie keine Stecknadel an die EU verkaufen. Das ist falsch und unterminiert unsere Stellung im internen Binnenmarkt mit Großbritannien.“ Er sehe keine Basis, zur Regierungsbildung in Stormont zurückzukehren. Politische Beobachter gehen davon aus, dass sich dies nach den Nordirland-Wahlen im Mai ändern könnte, wenn die DUP nicht mehr die Konkurrenz der noch härteren Partei der Unionisten, der Traditional Unionist Voice (TUV), fürchten muss.

Die Stormont-Bremse ist extra ausgehandelt worden, um eine der Maximalforderungen der nordirischen Partei der Unionisten, der DUP, zu erfüllen. Die DUP hatte unter anderem kritisiert, dass Nordirland nach dem Brexit mit Blick auf den Warenverkehr Teil des EU-Binnenmarktes sei. Die deshalb in Nordirland geltenden EU-Vorschriften müsse Nordirland befolgen, ohne dass es dabei ein Mitspracherecht habe.

Die Stormont-Bremse sieht vor, dass 30 Abgeordnete des nordirischen Parlamentes in Stormont eine Petition unterzeichnen können, die gegen eine EU-Vorschrift Einspruch erhebt. Natürlich müsste dafür die DUP wieder zur Regierungsbildung zurückkehren. Es muss kein überparteilicher Konsens für die Petition erzielt werden. Es können also auch nur 28 Unionisten und zwei unabhängige Abgeordnete die Petition abzeichnen.

Obwohl Sunak die Stormont-Bremse in der Öffentlichkeit vollmundig als Veto verkaufte, ist sie das nicht.  Selbst wenn 30 nordirische Abgeordnete Einspruch erheben, entscheidet London, ob die Regierung dem Einspruch folgt und die EU-Vorschrift innerhalb von vier Wochen suspendiert. Sie darf dies nur in „seltenen und außergewöhnlichen Fällen“ tun und nur, nachdem die nordirischen Abgeordneten schriftlich bewiesen haben, dass die EU-Regel „nachhaltig negativen Einfluss auf das tägliche Leben in Nordirland“ ausüben würde. Dies löst dann Verhandlungen im gemeinsamen Joint-Komitee der EU und London aus. Scheitern diese Verhandlungen und will London auf der Suspendierung der EU-Vorschrift bestehen, will Sunak, so sagte er, zunächst eine überparteiliche Abstimmung im nordirischen Parlament einholen. Erst dann würde London die EU-Vorschrift ignorieren, was zu Gegenmaßnahmen der EU führen könnte.

Die Rechtsberater der Brexit-Hardliner in der Fraktion der Konservativen Partei, der ERG, haben in einem Gutachten kritisiert, dass die Stormont-Bremse daher „praktisch nutzlos“ sei. In dem Gutachten führen die Rechtsberater auf, dass die Windsor-Abmachung nicht annähernd so positiv sei, wie von Sunak dargestellt. Das räume sogar die EU ein. Die Maximalforderung der ERG und der DUP war gewesen, dass in Nordirland kein EU-Recht gelten solle, der Europäische Gerichtshof keine Rolle mehr spielen und im Handel zwischen Großbritannien und Nordirland keinerlei Grenzformalitäten und -kontrollen vorgenommen werden sollen.

Die ERG, die in der Sache eng mit der DUP zusammenarbeitet, kritisierte nun, dass in Nordirland weiterhin EU-Recht für den Warenverkehr gelte und der Europäische Gerichtshof und die EU-Kommission weiterhin eine Rolle spielten. EU-Recht gelte sogar weiterhin für das gesamte Königreich, sobald britische Staatshilfe Auswirkungen auf Nordirland habe. Da die Stormont-Bremse nur in Ausnahmefällen greife, sei nicht zu verhindern, dass Nordirland langfristig mit seiner Produktion nach EU-Recht von britischen Vorschriften abweichen werde. Im Handel über die Irische See sei weiterhin umfangreiche Dokumentation notwendig, mit entsprechender Kontrolle. Im Grunde zementiere die Windsor-Rahmenvereinbarung das Nordirland-Protokoll, anstatt es zu ändern.

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