Wenn Annalena Baerbock zum Staatsbesuch in Peking eintrifft, wird sie dort auf höchst zufriedene Gesprächspartner treffen. Denn gerade war der freundliche Emmanuel Macron für drei Tage in China zu Besuch. Auf seiner Rückreise hatte Frankreichs Präsident noch im Flugzeug der Welt unbedingt mitteilen müssen, dass die Europäer aufpassen sollten, in Bezug auf China nicht zum Vasallen der USA zu werden. Außerdem sei Taiwan „nicht unsere Krise“.  

Die Gastgeber werden deswegen der deutschen Außenministerin, die über China bislang sehr kritisch gesprochen hat, ihre Zufriedenheit über Macrons Worte deutlich spüren lassen. Und Annalena Baerbock käme dann in die Verlegenheit, Macrons Aussagen zu kommentieren, ohne dabei den französischen Staatspräsidenten öffentlich zu desavouieren. Das könnte sie zum Beispiel, indem sie sagt, dass die EU aus 27 Mitgliedsstaaten besteht und Macron nur für Frankreich spreche. Aber was ist die EU ohne Frankreich? Und wer überhaupt spricht für die EU? Das könnten chinesische Gegenfragen sein. Und auch sie würden Baerbock in Verlegenheit bringen.

Es sind Gedankenspiele. Aber sie zeigen, wie tief die Verunsicherung ist, die Macron ausgelöst hat, wie groß der Schaden ist, den er angerichtet hat. Denn jetzt, da angesichts des Krieges in der Ukraine und der chinesischen Drohungen gegenüber Taiwan westliche Geschlossenheit gefragt ist, hat Macron Gräben aufgerissen, in Europa und zwischen Europa und den USA.  Jede Reise eines europäischen Spitzenpolitikers nach China steht nun im Schatten der Reise Macrons. Er hat den Takt vorgegeben. Das liebt er.

Die EU wird keine dritte Supermacht

Die Aufregung über seine Aussagen hat natürlich etwas Künstliches. Denn eine einheitliche europäische China-Politik gibt es gegenwärtig nicht. Das ist nichts Neues. Doch gibt es seit Jahren das Bemühen, eine solche zu formulieren. Das ist schwierig genug, für die EU und für die einzelnen Mitgliedsstaaten. Selbst Deutschland ist bisher nicht in der Lage, eine kohärente Strategie zu formulieren. Aber immerhin hat sich die EU 2019 zur Position durchgedrungen, China als systemischen Rivalen zu definieren. Darüber hinaus hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit de-risking und nicht de-coupling von China den richtigen Begriff gefunden. Europa soll sich nicht abkoppeln, aber es soll sich vorsehen und wappnen. Diese Lehre hat die EU aus der (besonders deutschen) Energieabhängigkeit von Russland gezogen.

Europa ist also auf dem Weg, sein Verhältnis zu China zu justieren, so wie es die neuen Zeiten erfordern. Das tut die EU in dem ihr eigenen, allzu gemächlichen Rhythmus, aber sie tut es. Sie wird auch in dreißig Jahren nicht zu einer dritten Supermacht werden, wie Macron sie herbeiwünscht, aber immerhin ist sie ein ernst zu nehmender Faktor auf der globalen Bühne. Die EU ist dabei, geopolitisch erwachsen zu werden. Das heißt nicht, dass sie sich von den USA lösen muss, sondern dass sie ihre Interessen formulieren, vertreten und auch durchsetzen kann – auch gegenüber den USA.

Macron hat diesen Prozess des Erwachsenwerdens wesentlich angestoßen, das ist sein Verdienst. Aber er hat es immer eilig. Er prescht nach vorn und verlangt von den anderen, sie sollten ihm hinterherlaufen. Wer das nicht tue, den werde die Geschichte bestrafen. Geschwindigkeit ist alles. Und alles ist eine Frage des Willens. So sieht das der französische Präsident.

Ein strategisch autonomes Europa sollte sich zur Not selbst schützen

Dabei hat er im Kern nicht Unrecht, wenn er ein strategisch autonomes Europa einfordert. Das sei seiner Meinung nach der einzige Weg, um nicht aus der Weltgeschichte als handelnder und mitbestimmender Akteur auszuscheiden. Etwas weniger bombastisch formuliert: Ein strategisch autonomes Europa ist ein Europa, das sich zur Not auch selbst schützen kann.

Die EU, von der Macron zu Recht so viel verlangt, ist aber nur dann stark, wenn die verschiedenen Staaten und die politischen Kräfte zusammenspielen. Natürlich braucht es ein Ziel. Macron formuliert es auch sehr klar. Doch er stellt sich vor, dass da einer vorausgaloppiert und die anderen ihm in schnellem Schritt folgen. Eine fast schon romantische Vorstellung, doch so funktioniert die Europäische Union nicht.

Wenn die EU mit einer Sache nicht besonders gut umgehen kann, dann ist es Ungeduld – und am wenigsten verträgt sie prätentiöse Ungeduld. Zu viel Drängen auf offener Bühne – das führt zu Widerständen und Blockaden. Macron würde es vermutlich Angstblockade nennen, aber eine Blockade bleibt es. Macron, der so viel von Europa spricht, müsste das eigentlich wissen. Gerade, wenn es um China geht.

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