Artjom
Sytnik gehört nicht zu jenen Menschen, die einem mit überbordender
Freundlichkeit begegnen. Bei Interviews antwortet er einsilbig, und ein Lächeln
kommt ihm dabei schon gar nicht über die Lippen. Kein Wunder: Als oberster
Korruptionsjäger macht man sich in einem Land wie der Ukraine nicht überall
beliebt. Im Gegenteil. Jahrelang sah er sich Schmutzkampagnen, Verleumdungen
und Anfeindungen ausgesetzt.

Doch heute wirkt der
ansonsten so spröde Beamte am Telefon aufgeräumt, geradezu gut gelaunt. Daran ändert auch
der Luftalarm nichts, der gerade erst wieder durch die Stadt heult. Sytnik
spricht von „positiven Signalen“ und „Fortschritten“. Wie bitte? Wird Kiew
nicht gerade von Skandalen erschüttert, von Bestechung, Korruption und Rücktritten?
Ja, sagt Sytnik, aber vermutlich wären die Fälle ohne die Arbeit der Behörden
erst gar nicht bekannt geworden. Und dass diese Woche mehrere
hochrangige Politiker, darunter zwei Vizeminister, der Vizeleiter des
Präsidentenbüros und fünf Gouverneure aus dem Amt scheiden mussten, zeige auch,
„dass es keine Unberührbaren mehr gibt“. Selbst im Krieg.

Die Ukraine
und die Korruption, das ist so eine Sache. Im Ranking von Transparency
International
landet die Ukraine immer wieder auf den hinteren Rängen (aktuell:
Platz 122 von 180). Dass sie ein korruptes Land ist, gehört zu den
wenigen Dingen, die wohl die meisten Deutschen vor dem 24. Februar 2022 über
die Ukraine wussten. Das Bild der Ukraine, in dem sich korrupte Politiker und
raffgierige Beamte am Staatshaushalt bedienen und sich Oligarchen ihren
Einfluss erkaufen – so falsch ist es natürlich nicht. Aber zur Wahrheit gehört, dass
es im Kampf gegen die Korruption – gerade seit den Maidan-Protesten 2013/14 –
auch einige Fortschritte gab. Es ist eine zähe Auseinandersetzung, bei der einen Schritt
voran ging und wieder einen Schritt zurück. Ein ständiger Kampf zwischen
alten und neuen Kräften.

Die Korruptionsjäger wurden vom FBI geschult

Wie zäh
dieser ist, das weiß Sytnik. Der 43-jährige Jurist wurde 2015 zum Leiter
des Nationalen Antikorruptionsbüros der Ukraine (NABU) ernannt. Zwar sitzt
Sytnik inzwischen in der „Agentur zur Prävention von Korruption“, kurz NACP, der
Schwesterorganisation in einem schmucklosen Betonblock in der Nähe des Kiewer
Olympia-Stadions. Aber Sytnik war lange
das Gesicht von NABU, eine von jenen Institutionen, die nach der
Maidan-Revolution gegründet wurden, um den Filz aus Wirtschaft, Politik und
Oligarchie zu entwirren. Es gab zahllose Versuche, ihre Arbeit zu
diskreditieren, zu erschweren oder zu verunmöglichen. Dass sie allesamt
misslangen, sei schon ein Erfolg, sagt Sytnik. Die Detektive des NABU, geschult
von FBI und EU-Partnern, erwarben sich den Ruf, furchtlos und unabhängig gegen
die Mächtigen zu ermitteln.

Wie gegen
den ehemaligen Chef der Steuerbehörde, Roman Nasirow. Oder, wie
dieses Mal, gegen den Vizeminister für Infrastruktur. Dass dem Vizeminister vorgeworfen
wird, Schmiergelder in der Höhe von 400.000 US-Dollar kassiert zu haben,
einer der beiden aktuellen Korruptionsfälle, haben
diesmal nicht Reporter oder Aktivisten aufgedeckt. Sondern NABU, die Behörde.

Das heißt
aber noch längst nicht, dass man die Situation in der Ukraine schönreden kann.
Anruf bei Witalij Schabunin, dem bekanntesten Antikorruptionskämpfer der
Ukraine. 2012 gründete er die NGO Anticorruption Action Centre (Antac), die
für mehr Transparenz, Kontrolle und strenge Antikorruptionsgesetze lobbyiert.
Schabunin wurde selbst immer wieder zur Zielscheibe, 2020 fackelten Unbekannte
sein Haus ab. Aber er machte immer weiter. Selbst jetzt, wo er doch als
Freiwilliger im Krieg kämpft, betreibt er in der freien Zeit seinen Aktivismus
weiter. ZEIT ONLINE erreicht ihn am Hauptsitz der NGO, ein luftiges Loft im 26.
Stock, mit Blick auf Kiew. Er lacht: So ein Büro hätte sich die NGO früher
niemals leisten können. Aber seit dem Krieg und den Stromausfällen will niemand
mehr im Penthouse wohnen. Weit entfernt vom Schutzkeller. Und ohne Strom geht
nicht einmal der Lift mehr.  

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