So voll war es
in der Erstaufnahmeeinrichtung Eisenhüttenstadt lange nicht mehr. Etwa 100
Menschen drängeln sich am Dienstagmittag vor der Anmeldung. Die Registrierung inklusive
Gesundheitscheck und Coronatest ist für alle Neuankömmlinge Pflicht. Es geht nur
langsam voran. Manche liegen auf dem Boden vor dem Gebäude, dösen auf Müllbeuteln,
in denen ein paar Habseligkeiten verstaut sind. Andere haben nur einen
Schlafsack dabei – oder gar nichts.

Die meisten,
die hier anstehen, haben eine wochenlange Flucht hinter sich. Auf einer neuen
Route, die immer mehr Geflüchtete auf sich nehmen: Es geht von Belarus durch das Baltikum und Polen, dann illegal über die Grenze nach Deutschland – sofern man nicht schon vorher von polnischen, lettischen oder litauischen Grenzschützern an der Weiterreise gehindert wird.
Viele der Geflüchteten, die es bis an die deutsche Grenze schaffen, werden von Schleusern in Wäldern oder Dörfern ausgesetzt
und dort von der Polizei entdeckt. Auch an diesem Tag bringen Einsatztruppen
ständig Menschen in die Erstaufnahme.

Olaf Jansen steht ruhig im Hof, er
leitet die Einrichtung, Hektik will er nicht verbreiten. „Wir haben alles im
Griff, bisher mussten wir noch niemanden wegschicken“, sagt er. „Aber wir haben
eine hohe Belastung und noch ist kein Ende abzusehen.“ So schwierig
wie im Jahr 2015, als Zehntausende über die Balkanroute nach
Deutschland kamen, sei die Lage noch nicht. Doch angesichts steil steigender Zahlen sorgt Jansen sich, wie es
mit der neuen Migrationsbewegung aus dem Osten weitergeht. Eisenhüttenstadt ist
ein Erstaufnahme-Drehkreuz für Brandenburg, bis zu 1.600 Geflüchtete können hier
aufgenommen werden. Aktuelle Belegung: 1.200 bis 1.300 Menschen, „die Zahl ändert
sich stündlich“, sagt Jansen.

Auch eine Reiterstaffel ist unterwegs

In der ersten
Jahreshälfte war es ruhig, im Juli standen zwei Drittel des Camps leer. Das änderte sich rasant. Im September wurden bereits 1.200 illegal eingereiste
Geflüchtete in Brandenburg registriert, seit Anfang Oktober kommen im Schnitt täglich 100
Menschen über die deutsch-polnische Grenze. Brandenburg ist ein Schwerpunkt,
aber auch in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern gibt es, bisher noch mit
niedrigeren Zahlen, eine ähnliche Situation. Immer mehr Menschen kommen auch dort
über die deutsch-polnische Grenze, einige Erstaufnahmeeinrichtungen sind knapp
vor den Grenzen ihrer Auslastung. Es gibt keine Grenzkontrollen, aber
verstärkte Streifen von der Bundespolizei an neuralgischen Punkten, zum
Beispiel an der Grenzbrücke in Frankfurt/Oder, die regelmäßig
Geflüchtete passieren. Auch eine Reiterstaffel ist in Brandenburg unterwegs, um Wälder zu
durchkämmen.

Mehr als 4.300
Geflüchtete sind seit August über die neue Route unerlaubt nach Deutschland
eingereist. Viele stammen
aus dem Irak, Syrien, dem Jemen und Iran. Der Anstieg kam deshalb so plötzlich,
weil Alexander Lukaschenko, Präsident des belarussischen Regimes, Geflüchtete
auf dem Weg nach Europa nicht mehr aufhält. Die EU beschuldigt Lukaschenko sogar, dass er Geflüchtete
aus dem Nahen Osten gezielt und organisiert in Richtung Deutschland lenke – als
Rache für die Sanktionen gegen Belarus. Wegen der zunehmenden Einreise
von Migranten aus Belarus nach Deutschland ermitteln inzwischen offenbar
deutsche Behörden gegen Lukaschenko, berichtete die Bild am Sonntag. Er werde
der Schleusung verdächtigt, heißt es unter Berufung auf Sicherheitskreise.

In der
Erstaufnahme Eisenhüttenstadt kommen meist jüngere Männer an, inzwischen sind auch
häufiger Familien mit Kindern dabei. Ein Mann Mitte 20, der seinen richtigen
Namen nicht sagen will, hockt allein auf dem Hof und wartet auf seine
Registrierung. Er erzählt, dass er aus dem Irak komme und zuletzt in Malaysia gewesen
sei. „Dort hat man uns gesagt, dass wir nach Belarus sollen, weil man dort
einfach ein Visum bekommt.“ Er habe das für einen „guten Deal“ gehalten, sich
Geld geborgt und sei nach Weißrussland geflogen. „Aber die Behörden und die
Polizei haben uns schlecht behandelt. Dann wurden wir an die polnische Grenze
gebracht, dort war es auch nicht besser, wir wurden geschlagen.“ Dann sei er
mit anderen Geflüchteten acht Tage durch Polen in Richtung Deutschland
gelaufen. „Ohne Essen und Wasser. Ich bin fast gestorben.“ Schließlich seien
sie in einem Wald in Deutschland von der Polizei aufgelesen worden. Nun hofft
er, dass er seinen Asylantrag in Deutschland bewilligt bekommt. Was er hier
will? „Ein besseres Leben.“

Das ist der
Wunsch vieler, die man auf dem Hof in Eisenhüttenstadt trifft. Auch für Delwin,
27 Jahre alt, ist „ein besseres Leben in Deutschland“ das große Ziel. Sie
ist eine der wenigen Frauen ohne Familie hier. Sie erzählt, dass sie aus Syrien
komme, Geld von ihrer Familie geborgt habe, um ein Flugticket nach Weißrussland
zu kaufen, nachdem sie erfahren habe, dass von dort aus die Einreise nach
Europa möglich sei. Auch sie hat Strapazen hinter sich, „zuletzt sind wir
sieben Tage durch Polen gelaufen, meine Beine schmerzen immer noch.“ Nun hofft
sie, dass sie in Deutschland bleiben kann, „vielleicht kann ich hier irgendwann
studieren“.

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